Musik, die mir etwas bedeutet
Auf meinem Lieblings-Radiosender (das ist eine technische Einrichtung, über die man Musik hören kann, die von Personen, realen Menschen!, aus einem Studio in Echtzeit aufgelegt wird und die ohne Netz über die Luft über entsprechende Geräte empfangen und ausgegeben werden kann; demnächst konnte) Radioeins gibt es eine sonntägliche Sendung, in der mehr oder weniger prominente Menschen bis zu zehn Musikstücke vorstellen können, die ihnen in ihrem bisherigen Leben etwas besonderes bedeute(te)n. Dazu müssen sie dann auch etwas zum Hintergrund erzählen und werden von der Moderatorin noch vorsichtig ausgequetscht. Das kann sehr interessant sein. Nur ist Frau Rust ziemlich brav, verständnisvoll, uninspirert, überkorrekt und trägt daher selten dazu bei, die Sendung wirklich interessant zu machen. Aber um sie geht es auch nicht.
Die Gäste sind mal so mal so. Leider kommen bei vielen die abgedroschensten Klassiker zur Sprache, also Abba oder Beatles, aber das ist egal. Das ist ja die subjektive Erfahrung und wichtig: es geht hier nicht um die besten, beliebtesten, anerkanntesten, tollsten, einzigartigsten Stücke, sondern um das besondere persönliche Erlebnis mit/von ihnen.
Ich hatte mir bereits mal vorgestellt, wie ich im Fall einer Anfrage reagieren würde (nämlich gar nicht). Ich finde es eigentlich vollkommen unmöglich, ein erfülltes Musikleben in nur 10 Stücken wiederzugeben. Aber die Aufgabe hat mich dennoch gereizt. Da ich als Unpromi wohl nie angefragt werde, habe ich das mal für mich aufgeschrieben. Wer mitlesen will, darf das. Chronologisch natürlich:
The Moody Blues – Nights In White Satin (1967)
Das war in den Siebzigern. Alle, die ein Haus hatten, hatten auch einen Partykeller. Eine Theke mit viel dunkler Holzverkleidung und im Raum überall bunte flackernde Lichter. Auch die große, dunkelhaarige, bürgerliche und ausgesprochen charmante bis attraktive Tochter des ortsansässigen Kleinstadthaushaltsbedarfsladens hat mal eine Party geschmissen. Ich war vollkommen unangemessen angezogen: lange braune Wolljacke, bis zu den Knöcheln, aus unserer Verkleidungskiste im Dachboden, schwarzer Schlapphut. Aber hallo, es waren die Siebziger! Und sie mochte mich und wir tanzten viel zusammen. Tanzen kann man das nicht nennen. Es war Blues. Man nimmt sich in den Arm und bewegt sich langsam, ganz langsam zur entsprechenden Musik. In dem Fall war ich total verknallt, so wie nie wieder, und versuchte, mich noch langsamer zu bewegen; im Endeffekt standen wir da und umarmten uns. Und hörten großartige Musik, die uns in andere Welten führte. Und Hauptsache Körperkontakt. Dieses Lied war der perfekte Begleiter! Es kam ständig die Zeile „I love you“ drin vor. Das/die hat mich schon auch geprägt. Beatrix, wenn Du das liest: melde dich mal!
Und es gibt eine respektable PUNK-Version des Stücks von den Dickies, die ich hiermit erwähnt haben wollte.
In diesem Zusammenhang sind unbedingt zu nennen und gehören auch dazu auch folgende Stücke: It’s all Over Now, Baby Blue – Them und auch It’s Five O’Clock – Aphrodite’s Child. Beste siebziger Kuschelmusik!
Roxy Music – A Song For Europe (1973)
Ich werde nie vergessen, dass mir meine Schwester Anfang der Siebziger die Platte „For Your Pleasure“ von Roxy Music zum Geburtstag geschenkt hat und ich sie, die Platte, verschmähte, da ich damals natürlich nur unkommerzielle Musik hörte, so etwas wie Progrock oder Led Zeppelin und Popmusik (die Rechtschreibprüfung von WordPress bietet mir hier an: Polmusik (Häh?), Topmusik (passt aber nicht korrekt), Punkmusik (also den Unterschied zwischen Pop und Punk sollte auch das billigste Rechtschreibprogramm kennen!) total verachtete.
Im Nachhinein ärgere ich mich etwas über diese vollkommen ignorante und pubertäre Haltung. Ich habe diese Gruppe erst sehr spät entdeckt und Bryan Ferry wurde ziemlich spät zu einem meiner Helden. Ich liebe seine Stimme! Was dazu führte, dass ich alles nachholen musste. Viele tolle Sachen, die ich lange versäumt habe, aber auch manche furchtbare Schrammelmusik auf die ich verzichten kann.
In diesem wunderbaren aber vollkommen übertrieben pathetischen Lied (das allerdings auf eine anderen Scheibe veröffentlicht wurde, nämlich Stranded) möchte ich besonders hervorheben, dass er irgendwann anfängt, auf Französisch zu singen und in einer musikalisch und wohl auch inhaltlich dramatischen Steigerung peinlich, aber auch sympathisch versucht – zwar sehr passend zur Musik aber mit stark englischem Akzent – wie Jaques Brel zu klingen. Und dann singt er auch noch lateinisch. Gibt es das sonst noch irgendwo? Er trauert wohl einer Liebe hinterher, aber ich weiß nicht, was für einer. Und was hat das mit Europa zu tun? Aber es ist eine Hymne! Gehört definitiv zu meinen wichtigsten.
Kraftwerk – Das Model (1978)
Das war in den Achtzigern. Ich war zu Besuch bei meiner kleinen Cousine in Hamburg, die noch als Model oder schon als Fotografin arbeitete und es war irgendwie so, das ganz viele andere Models da waren und sich auf irgendetwas vorbereiteten. Und es lief im Hintergrund die ganze Zeit dieses Lied, das alle natürlich total toll fanden. Jeder war für sich unglaublich wichtig und cool. Und ich fühlte mich vollkommen unpassend und unwohl. Dann wurde ich als Außenseiter gefragt, was ich denn so mache. Und ich schämte mich etwas, dass ich als Ingenieur für technischen Umweltschutz studierte. Aber es kam die Bemerkung: Endlich einer, der mal etwas vernünftiges macht! Das hat mich sehr beeindruckt. Und ich möchte nebenbei anmerken, dass dies zu den besten deutschen Popliedern aller Zeiten zählt! Über dieses historische Stück könnte und sollte man mal ein Doktorarbeit schreiben.
Sex Pistols – My Way (1979)
Ein Cover von einem amerikanischen Sänger, der das geschäftstüchtig von einem französischen Chansonnier gekauft und vermarktet hat. Hier in einer sehr gut passenden PUNK-Cover-Cover-Version. Besser kann man dieses Lied nicht interpretieren. Aber Nina Hagen hat das zur selben Zeit auch sehr gut gemacht. Es hat mich interessiert, wer eigentlich zuerst war, das konnte ich nicht eindeutig klären. Aber die Geschlechtsverkehrspistolen haben schon einigen Einfluss gehabt und stehen sinnbildlich für den Punk der späten Siebziger, den ich aber erst in den Achtzigern entdeckte. Und natürlich waren sie keine echten Punks, sondern alles war gemanaged, erfolgsorientiert, künstlich erschaffen, Marketing pur. Der verrottete Johannes wollte das alles gar nicht und hat später mit PIL dann sehr gute eigene Musik gemacht.
Siouxsie and the Banshees – Christine (1980)
Von einer meiner Lieblingssängerinnen. Sie und das Lied verkörpern für mich den frühen New Wave dar Achtziger auf einzigartige Weise, der mich schwer und nachhaltig beeinflusst hat. Und ich hatte zu der Zeit eine angeblich lesbische – äh Freundin? – in die ich total verknallt war, mit diesem Namen, und was zwangsläufig etwas frustrierend war. Aber das Lied bleibt.
X-Mal Deutschland – Qual (1983)
Das Lied ist beispielhaft, die Entscheidung schwierig. Die LP (das bedeutet Long Player, eine große schwarze Scheibe aus Vinyl, Schallplatte genannt, mit der man früher eine ganzes Album anhören konnte, es WAR das Album, aber zwischendrin, in der Mitte, musste man doch die Scheibe mal umdrehen, um den Rest zu hören) Fetisch ist die allererste Scheibe, die ich mir Anfang der Achtziger in Berlin gekauft habe und sie hat ein neues Zeitalter eingeläutet, mein Eintritt in die Welt des Punk, des New Wave, des Goth, des Schrägen, inspiriert durch meinen Tommy-Radio-DJ-Gott John Peel, auf BFBS zu empfangen, der mich quasi dazu gezwungen hat. Als zweite Platte habe ich mir dann Cocteau Twins – Head Over Heals gekauft. Und ich möchte diese in Ihrer Bedeutung unbedingt gleichstellen, wobei ich im Nachhinein ihre „Wax and Wane“ besser finde, aber die anderen waren zuerst.
PJ Harvey – It’s You (2004)
Ein Stück, das ich zufällig im Autoradio hörte, und mir sehr gefiel. Später habe ich es dann nochmal gehört und war begeistert. Und dann musste ich das ganze Album Uh Uh Her von ihr hören. Und hatte etwas Angst enttäuscht zu werden. Aber es hat mir eine neue Welt eröffnet. Und das hat sie – bis auf das Schlagzeug – alles selbst eingespielt! Dann musste ich alles von ihr hören. Und sie wurde so schnell zu einer meiner Lieblingsmusikerinnen. Jahrelang! Eine begnadete Künstlerin. Sie ist eine der wenigen ganz großen, die für die Zeit nach den Achtzigern stehen. Kurze Würdigung.
Fortsetzung folgt ..
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