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Rezensionen // Seite 2

Igorrr der Große

Oder: Igorrr, der schreckliche. Achtung: Dies ist keine Musik! Nur wer mal dringend eine ordentliche und nachhaltige Gehirnwäsche braucht, sollte sich dies antun – man ist danach ein anderer Mensch. Ich habe früher aus diesem Grund mal Punk gehört, das ist aber viel zu brav im Vergleich. Und Igorr kann auch anders.

Der Kerl kommt aus Frankreich und heißt Gautier Serre. Er ist kein Musiker, sondern Künstler, der Musik neu erfindet und das gut macht. Man muss aber schon sehr vielseitig sein, um sich das anhören zu wollen: Barock, Breakcore und Death Metal. Leider auch etwas Balkan, was ich nicht ausstehen kann, hier aber manchmal erträglich ist. Das sind die wesentlichen Merkmale, es gibt noch viel mehr. Ja, und sehr pathetisch und auch, teilweise schwer auf Effekthascherei orientiert, und nervig – aber gut! Die Mitstreiter sind Laure Le Prunenec mit dem wunderbaren – unter anderem –  Opern-Gesang und Laurent Lunoir, der den Death-Metal-Aspekt überzeugend vertritt. Gesungen wird in einer Sprache, die ich nicht verstehe, Russisch vielleicht?

Dieses Bild entspricht nicht ganz dem Stil seiner Musik, aber seinem künstlerischem Verständnis, und ich finde es wunderbar ironisierend. (Copyright Svarta Photography)

Hat etwas mit Dekonstruktivismus, Kubismus, Anarchie, Dadaismus, entartete Kunst, abnorm exzentrisch, schräg zu tun, ist aber von dieser Welt und sehr beachtenswürdig.

Kennengelernt habe ich das Werk erstmals im Zusammenhang mit Venetian Snares, ein Typ, der auch gerne klassisches mit Breakcore verbindet. Während dieser das Ganze am Synthie nachbildet nimmt Igorrr dazu originale Klassik – als Sample, oder sie wird eingespielt. Und er hat dabei – trotz aller Härte – einen Sinn für Humor; das liebe ich! Sein Huhn kommt daher auch öfters in den Videos vor, einmal sogar als Hauptdarsteller.

Igorrr – My Chicken’s Symphony: Ein sehr untypisches Beispiel seiner Musik. Sicher eines der kostengünstigsten Musikvideos aller Zeiten und eines der originellsten! Der Nutzer kafrrros (auch mit 3r!) hat vor 3 Jahren auf einem Videoportal dazu folgendes interessantes von sich gegeben: „Although the chicken usually write in a more pastoral romantic style, this particular one has made a composition that deviates from the usual chicken repertoire and dares to explore new, experimental musical paths through strange time signatures and complex sound textures.. Magnificent!“

Neben der Hardcore-Version Igorrr hat er auch eine entspannteres Projekt mit dem Namen Corpo-Mente gegründet. Auch klassisch basiert und wesentlich eingängiger. Vielleicht wird er auch etwas ruhiger auf seine alten Tage. Das hat die Qualität von Radiohead und ist unbedingt hörenswert.

Der Ausschlag für diese Würdigung gab ein eher untypisches Stück mit dem Namen Corpus Tristis. Das basiert auf einem Walzer von Chopin (Grande Valse Brillante, Op. 34, Nr. 2 in a Moll), der wunderschön ist. Wozu braucht man noch Igorrr? Nun: es macht Spaß.

Bei Recherche auf einem bekannten Videoportal stößt man aktuell auf ein offizielles Video zu dem Stück „ieuD“. Harter Stoff. Das habe ich AND empfohlen, der mir bisher immer gerne zu den allerschrägsten und krachigsten Klängen verholfen hat; es hat ihn zu dem Ausspruch verleitet: „Oh Jesus. Was denn das?“

Sehr eindrucksvoll ist das Video zum Auftritt beim Dour Festival 2017. Ansonsten empfehle ich auch die etwas braven aber schönen Videos zum „The Making of Savage Sinusoid“. Zu Corpo-mente sollte man sich unbedingt „Live at Improve Tone Studios, 2015“ ansehen/anhören. Und alles andere auch!

Das ist hohe Kunst! Und wunderbar radikal! Habe noch nicht alles erfasst, aber es hat mir bereits mehrfach feuchte Augen verursacht. Und ich wäre glücklich, wenn ich das, was er in Musik macht, hier mit Worten umsetzen könnte. Und das würde ich mir manchmal gerne   über eine Superanlage mit Riesenboxen auf voller Lautstärken anhören wollen. – gorrrg.

Johannes Pelle

Im Laufe dieses Tagebuchs möchte ich doch gerne die meisten der Personen erwähnt haben, die mich beeindruckt haben oder die mein Leben wesentlich beeinflusst haben. Es sind wenige, daher sollte die Aufgabe lösbar sein.

Zu diesen Menschen gehört jedenfalls auch ein britischer Radiomoderator mit dem Namen John Peel († am 25. Oktober 2004). Laut Wikipedia einer der einflussreichsten Experten für Popmusik. POPMUSIK??? Die hat er natürlich nie gespielt. Es war immer sehr persönliche und sehr außergewöhnliche und gerne schräge Musik.

Bei mir fing es in den frühen achtzigern an, als ich zu Besuch bei meiner Schwester in Hannover (!) zufällig seine Sendung im Radiosender der britischen Besatzungsmacht BFBS hörte und sofort begeistert war. Später in Berlin saß ich Samstags Nachts immer in meiner Erdgeschosswohnung und musste die Radioantenne drehen, verlegen, umstöpseln, hochheben, treten, überkreuzen, austauschen, verlängern, beschwören, um die Sendung der Besatzer auf BFBS Berlin halbwegs vernünftig empfangen zu können.

Das war für mich ganz neue Musik. Herr Peel hat auch einen schönen britischen Sarkasmus, der immer zwischen den Titeln zum tragen kam. Die Musik gefiel mir nicht immer: Die viele afrikanische Musik mochte ich nie, The Fall, seine Lieblingsband auch nicht. Aber zum Beispiel The Clash, The Cure, Joy Division,  Siouxsie and the Banshees, New Order, P J Harvey, Roxy Music, Sex Pistols, The Smiths, X-Mal Deutschland, Cocteau Twins durchaus – heute alles Helden.

Ich habe damals viel aufgenommen, auf Tonband oder Kassette, die Qualität des Materials entsprechend mies – hinzu kam noch der schlechte Empfang mit sporadischem Rausch(en) (analog auf UKW!). Dank des Netzes konnte ich jetzt einige Sendungen in guter Qualität finden und von Zeit zu Zeit mal wieder reinhören. Schön!

Es klingt aber auch wie aus einer anderen Zeit.

Würden Sie  diesem Menschen vertrauen? Ich tue es. Bedingungslos. Bloß: warum liegt da ’ne Platte von Fairport Convention?

Foto: Len Trievnor/Getty Images

Hier noch ein Verweis auf die Intromusik zu seiner Sendung: Link

 

Susi und die Todesfeen

Ich möchte doch endlich auch mal über meine zweite Lieblingsmusikerin schreiben: Siouxsie Sioux, Sängerin und Chefin von Siouxsie and the Banshees. Frau Sioux verkörpert für mich den New Wave (Optik und Klang), den ich liebe.

Susi noch jung und wunderbar trotzig…

Der Sound geht tief in den Körper hinein. Das Outfit: schöner Edelpunk. Die Stimme ist wunderbar. Der Gesang ist gern einen Halbton daneben und klingt trotzdem gut! Das können nur wenige Sänger. Johnny Lydon zum Beispiel oder Ian Curtis, wie bereits erwähnt. Zu beiden muss ich auch noch etwas schreiben. Anyway, Siouxsie war fleißig und hat sehr viel Musik gemacht auch mit einer zweiten Gruppe, mit ihrem Liebling und Drummer Budgie: The Creatures, auch sehr höhrenswert. Ein Gesamtkunstwerk. Ich habe mir ein T-Shirt mit ihrem Bild gekauft – aber noch nie getragen. Beachte: die Bezeichnung „zweite Lieblingsmusikerin“ ist nicht wertend gemeint, nur hatte ich bereits früher über meine andere Lieblingsmusikerin geschrieben …. Übrigens beide recht unbekannt in Deutschland.

Ein etwas untypisches und frühes Video von 1979 mit einem Auftritt in der Fernsehshow Something Else der BBC (so etwas wie Musikladen?) mit dem herausragend gutem Stück „Love in a void“ in dem sie noch etwas spießig aussieht, aber auf unbeholfene und charmante Art versucht, auch punkig zu sein. Achtet bitte auch auf die herausragenden Musiker.

B-Movie – Ich war dabei …

und kann mich gut erinnern. Zumindest bringt der Film (Untertitel: Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989) einige Erinnerungen wieder zutage, was durchaus für ihn  spricht!

Auf zeit.de wird etwas kritisch berichtet, dass Mark Reeder ja wohl nicht alles miterlebt haben könnte, aber darum geht es doch gar nicht! Dies ist ein Dokumentarfilm mit weitgehend historischen Aufnahmen, der für das Kino fiktiv aufbereitet wurde. Und ich bin glücklich darüber, dass nicht diese unsäglichen Interviews mit Zeitzeugen geführt werden, sondern eine Art Spielfilm daraus gemacht wurde: Ein (vermutlich alternder, charmanter,  kenntnisreicher, britischer (!)) Protagonist blickt zurück auf seine Glanzzeiten in Berlin und führt uns teilweise „live“ durch das Geschehen.

Und er war tatsächlich fast überall dabei. Wer die Zeit und die entsprechenden Etablissements mitgemacht hat, ist Mark Reeder (entweder in Uniform oder traditionell britisch mit Knickerbockers) ständig über den Weg gelaufen. Immer freundlich und offen, was nicht typisch für die Zeit war.

Natürlich fasst der Film nur die absoluten Höhepunkte der damaligen Punk und Postpunk Zeit zusammen, aber das Feeling der Zeit wird supergut dargestellt.  Schön, dass neben den allseits bekannten Protagonisten auch die Notorischen Reflexe berücksichtigt werden, die mich damals sehr beeindruckt haben, über die es aber kaum Informationen gibt. Außerdem mehrere beeindruckende Schlüsselszenen: Zum Beispiel Blixa Bargeld, wie er über den Osten befragt wird und etwas traurig und verloren kundgibt, dass ihn der Osten nicht interessiert und dann trotzig hinzufügt, das er es gut findet, in einer Stadt zu wohnen, wo man nicht weiß was die andere Hälfte macht. Genauso war die Stimmung! Oder Nick Cave, wie er sagt, dass er in Berlin gelernt hätte das zu machen was er wollte und nicht auf andere zu hören. Und darum ging es!

Übrigens die „Hintergrundmusik“ (der komplette Soundtrack) ist – mit Ausnahmen – unglaublich gut und passt sehr gut zu den Bildern. Das Titelstück „You need the drugs“ ging mit sofort und bleibend unter die Haut. So achtziger und wavig und psychedelisch! Im Nachhinein habe ich erfahren, das das Stück von Westbam – immerhin mit Richard Butler – wohl erst im Jahr 2013 aufgenommen wurde ;-) egal. Auch das Wortspiel im Untertitel des Films habe ich erst später verstanden – ist aber auch nicht sooo genial.

Insgesamt kommen mir die Protagonisten sonst zu fröhlich vor, ich habe die Menschen damals eher als sehr abweisend und mit einer extrem unfreundlichen – eben berliner – Art erlebt. Ein paar kleine Mäkelpunkte: der Dschungel, war zwar sehr angesagt, aber vielen auch schon zu etabliert; es gab noch viele andere  Discos (so hießen die damals noch!). Das Exxess fällt mir ein (und wie hieß noch der Laden am Adenauerplatz?); auch das Cafe Swing direkt neben dem Metropol/Loft, in dem kleine aber auch sehr außergewöhnliche Veranstaltungen stattfanden sollte erwähnt werden; das Atonal Festival? Es fehlen auch die Demonstrationen (es werden nur Krawalle gezeigt, aber nicht die vielen und riesigen Demos (mit Musik von Fehlfarben), die Zeit war extrem politisiert! Aber hier geht es ja um die Kunst und die Musik, die Anarchie und ums Koksen/Saufen und das ist gut so.

Zeit und Ort waren wirklich wild, einzigartig und unwiederbringbar, und der Film zeigt das wie kein anderer! Aber wahrscheinlich wissen nur die das zu schätzen, die dabei waren. Für Euch auch empfehlenswert: „So war das SO36“ (von hier wurden die knutschenden Punks in der U-Bahn ausgeliehen/wiederverwertet)…

Berlin, Kreuzberg, SO 36, Konzert, Punk, 05/1982; Auftritt der Berliner Punk Band „Soilent Grün“

– 30.04.1982-01.05.1982

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Berlin – Kreuzberg, club SO 36, concert, on stage the Berlin Punk Band „Soilent Gruen“

– 30.04.1982-01.05.1982

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Das unbekannte, aber tödliche Orchester

Musik ist so etwas schönes! Leute hört mehr Musik, nicht nur den Dudelfunk und Schlager, auch mal etwas neues ausprobieren! Letztens bin ich durch die gute alte SPEX (ja schon seit den achtzigern nicht mehr gelesen, aber ab und zu auf die Website gestoßen) eine Musikkapelle entdeckt, die es mir seit langem mal wieder richtig angetan hat: Unknown Mortal Orchestra, vom Ende der Welt, aus Neuseeland. Besprochen wurde die zweite Veröffentlichung, mit einem wunderbaren ungewöhnlichen Titelbild, Frau mit Schwert, könnte aus einen Fritz Lang Film stammen. Aber ja, die Musik, wird als psychedelisch bezeichnet (liebe ich) aber ist mehr: verspielt, mit Anleihen aus den späten sechzigern / frühen siebzigern, die Gitarre von Jimi Hendrix erkenne ich in der Ferne. Auch Gitarre mit wah-wah-Effekt (liebe ich). Slow motion Rock. Manchmal etwas zu akademisch kompliziert. Zuviel des Guten. Anway,  mein Lieblingslied ist auf jeden Fall Monki. Für andere steht dies erst an 8. Stelle (last.fm).  Auch die Kritiken etablierter Medien sind eher durchwachsen. Egal. Habe gleich darauf auch die erste LP (ohne Namen) durchgehört und für gut befunden. Ist noch etwas rauher (neue Rechtschreibung: rauer), originaler. Also sicher keine Eintagsfliege. Freue mich auf neues.

Unknown Mortal Orchestra - II

Etwas faschistisch? Ja, aber wunderschön, könnte aus einem Fritz Lang Film stammen …

Außergewöhnliche Musik

Quelle: last.fm; Nutzer pokolo

Also, ich habe im Laufe meines Lebens schon sehr viel Musik gehört und komme zu der Erkenntnis, es gibt neben der vielen schlechten Musik, auch nette Musik, geniale Musik und vor allem immer wieder sehr außergewöhnliche Musik. Damit meine ich nicht nur außergewöhnlich sondern auch  gut. Nicht die Deppenmusik, bei der ein paar schräge Töne zusammengekloppt  und dann unter der Marke „experimentell“ angeboten werden.

Im diesem, positiven Sinne habe ich kürzlich eine sehr außergewöhnliche Musik kennengelernt. Eine nie zuvor gehörte Symbiose aus breakbeats (drums) und klassischen Streichern. Oft sehr dramatisch, aber wirklich ungewöhnlich und gleichzeitig sehr gut. Gelungen! Und musikalisch.

Bin noch nicht sicher, ob das Bestand hat, aber aktuell sehr empfehlenswert. Die Combo, bzw. der Einzelunternehmer heißt „Venetian Snares“ (der Kollege auf dem Bild), kommt aus Kanada, und wurde wohl über einen Aufenthalt in Ungarn und eine einheimische Liebschaft beeinflußt. Als Einstieg empfehle ich die Scheibe mit dem unaussprechlichen Namen „Rossz Csillag Alatt Szueletett“. Das ganze läuft unter der Schublade „breakcore“. Als ähnlicher Vertreter gelten Combos, wie Igorrr, Squarepusher und die guten alten Aphex Twin. Es gibt es noch viel zu hören …

Plattenkritik: Arcade Fire – The Suburbs

Ich habe vorher nur ein Stück von AF gehört und das hat mich schwer beeindruckt: Sehr ungewöhnlich, sehr schräg, geradezu anstrengend und trotzdem poppig, zum mitsingen! Etwas Folklore, ziemlich schräger Gesang. Das Stück gab es auf einer CD-Beilage der Musikzeitschrift Musikexpress (?) aus dem Jahr 2005 (!) und heißt wohl „Neighborhood #2 (Laïka)“.

Sehr viel später (vor kurzem) bin ich aufgrund guter Kritiken über die „The Suburbs“ gestolpert und war erst enttäuscht: ziemlich poppig; und manchmal versuchen sie wie U2 zu klingen. Gesang und Musik von „Sprawl II“ klingen wie „The Knife“. Manchmal hört man sogar Bruce Springsteen – bäh! Anyway, die Scheibe ist so gut und außergewöhnlich, dass sie mich mal wieder zu einer Kritik inspirierte.

Wie bei vielen guten Platten muss man diese auch öfter hören, und wenn die Situation günstig ist –  gutes Wetter, gute Laune, ein bisschen roter, ethanolisierter Traubensaft – schlägt es ein und bleibt.  Das Titelstück „The Suburbs“ ist natürlich ein Gassenhauer, wunderbar leicht und – wieder – zum mitsummen! Wenn man nur die Texte kennte/erkennte (korrekte Grammatik? Bitte melden.). Und: warum ist die Aufnahmequalität nur so schlecht???